MICHAEL HÜBL

Stahlmale im Stadtraum

1.

Orte wie der Flughafen Frankfurt heißen im Luftfahrer Jargon »International Hub«. Eine Umsteigestelle von globaler Dimension. Die Namen bundesdeutscher Ziele wirken da wie Haltepunkte an irgendwelchen Nebenstrecken. Vom Rhein-Main-Airport aus sucht man die Weite des ganzen Erdballs. Hier wechseln Passagiere kunterbunter Herkunft die Maschine oder den Carrier, um von einem fernen Kontinent zum anderen zu gelangen: von Abu Dabi nach Boston, von Kopenhagen nach Lima, von Haiderabad nach Vancouver führt der Weg über die Landebahnen im hessischen Ried. In den Terminals durchmischen sich zwischen Check-In und Sicherheitshinweis die Verkehrsströme. Charterreisende, Geschäftsleute, Piloten, Touristengruppen, Stewardessen, Purser und anderes Personal treffen in unterschiedlichen Geschwindigkeiten aufeinander: wachsam wandelnde Polizisten, schläfrig schlurfende Jet-Lag-Opfer, hektisch hastende Manager. Hier, mitten im flüchtigen Crossover massenhafter Anonymität, steht eine gut sieben Meter hohe Plastik von Erich Hauser. In ihr fokussieren die Momente und Charakteristika, die für das Werk des Künstlers wesensbestimmend sind und die dessen Bedeutung ausmachen.

Gebäude und Areale mit allgemeinem Publikumsverkehr gelten, wenn es um bildende Kunst geht, als »öffentlicher Raum« eine irreführende Bezeichnung, schließlich stehen auch Galerien und Museen normalerweise jedermann offen, sind mithin öffentlich. Genau genommen meint denn der Begriff Räume und Flächen, die primär anderen Zwecken dienen als der Präsentation von Kunst 1. Hauser hat sich schon bald nach seinen ersten Auftritten als freier Bildhauer mit solchen nicht immer unproblematischen Urbanen und architektonischen Gegebenheiten befasst. Tatsächlich wird das Werkverzeichnis von einer Arbeit angeführt, die Hauser zwischen 1960 und 1961 am damals neu errichteten Staatstechnikum Karlsruhe 2 regelrecht zur Entfaltung brachte. Die Struktur des Sichtbetons wird dort in strenger Orthogonalität aufgebrochen, die schmalen, länglichen, mitunter auch quadratischen Felder werden meist im spitzen Winkel nach außen geklappt, so dass die Wand eine freie, lockere Gliederung erfährt. Dieses gleichermaßen stringent wie spielerisch rhythmisierte Relief, das neben einer Freiplastik für die Technische Hochschule Stuttgart Pfaffenwald (1962) Hausers einzige Arbeit aus Sichtbeton darstellt, markiert den Anfang einer Vielzahl von Werken, mit denen der Künstler auf Plätzen in Kiel und Lüdenscheid, vor Schulen in Stuttgart, Ludwigshafen, Freiburg ebenso vertreten ist wie auf dem Campus der Universität Bayreuth, in der Fußgängerzone von Singen oder beim Bildungszentrum Erkner im Großraum Berlin.

 

Die Liste der Arbeiten im öffentlichen Raum ist erheblich länger und reicht bis in die jüngste Gegenwart; so wurde beispielsweise 1999 die über 25 Meter hohe aufragende Arbeit 2/92 unweit des Südeingangs der Expo 2000 auf dem Gelände der DVG (Deutsche Datenverarbeitungsgesellschaft) Hannover installiert. Die Frankfurter Plastik entstand 1989. Sie nimmt eine exemplarische Position im Gesamtwerk des Bildhauers ein, weil bei ihr die ästhetischen Maßgaben, denen Hauser folgt, auf Bereiche treffen, die wesentlich zur Funktionstüchtigkeit der gegenwärtigen hochtechnologisierten und hochmobilisierten Gesellschaft beitragen, ja sie überhaupt erst ermöglichen. Hausers individuelle künstlerische Handschrift, über die Jahrzehnte hinweg mehrmals modifiziert, von ihren Grundzügen her aber unverändert, tritt auf dem Frankfurter Flughafen in Konkurrenz zu den weithin standardisierten Erscheinungsformen der modernen Massengesellschaft. Zwischen der Plastik 6/89 und den beschleunigten Lebensbedingungen des 20./21. Jahrhunderts ergibt sich ein Spannungsverhältnis, in dem sich das Kunstwerk einerseits als autonom behauptet, sich andererseits als immanenter Bestandteil und als Spiegel ebendieser Bedingungen erweist.

 

2.

Die Arbeiten von Erich Hauser gründen in einer prägnanten, letzthin persönlichen Auseinandersetzung mit dem jeweiligen Werkstoff. Hauser hat in seinen Anfängen unterschiedliche Gestaltungsmöglichkeiten durchprobiert, bis er das ihm adäquate Material fand. Stahl wird der Stoff, den er fortan mit konsequenter Ausschließlichkeit einsetzt. Zunächst geben die Skulpturen noch einiges vom Ringen und Rackern mit dem wenig geschmeidigen Rohstoff zu erkennen. Bis Mitte der 60er Jahre läßt Hauser die Arbeitsspuren sichtbar stehen. Schweißnähte werden als gefährlich rauhe Grate erhalten. Die Oberflächen der Plastiken sind gezeichnet von den fahrig eingefrästen Graphismen der Schleifmaschinen und wirken stellenweise wie vernarbt. An den Brand und Wundmalen, die die Werkzeuge auf dem Metall hinterlassen, wird die, wie Hauser sagt, »geistige Verwandtschaft« 3 sichtbar, die er zu Malern wie Gerhard Hoehme, K.O. Götz und Bernard Schultze empfindet. Bildhauerei heißt in diesem Zusammenhang: den Widerstand des Werkstoffs überwinden, die subjektive Kraft und den gestalterischen Willen an den physischen Eigenschaften, den objektiven Herausforderungen des Metalls zu messen.

 

In der Behandlung der Stahlbleche wirkt der Einfluss des Informel nach, das aller erlernten Verbindlichkeit misstraut und jede schematische, von vornherein festgelegte Steuerung des künstlerischen Arbeitsprozesses von sich weist in der Hoffnung, auf diese Weise den Kern der Dinge zu treffen. Emil Schumacher, auch er ein Wahlverwandter Hausers, hat diesen Vorgang folgendermaßen beschrieben: »Ich gehe das Bild an, wie ich eine Mauer angehe, um eine Lücke zu finden, durch welche ich hindurch kann, um hinter das Unbekannte der Grenze zu kommen« 4. Gegen das Gefüge zivilisatorischer Anpassung wird die Natur des Authentischen gesetzt. Dazu gehört in der Malerei so gut wie in der Bildhauerei, dass man das Material nicht bis in sämtliche technische Finessen hinein ausreizt, sondern als Rohstoff und Widerstand erkennbar läßt. Der Wahrheitsgehalt eines Werks zeigt sich in den Eingriffen, die der Künstler vornimmt und die bei Hauser manchmal etwas von Angriffen, von anhaltenden Attacken haben: Sie schlagen sich in Scharten und Schrunden nieder, in scharfen, unregelmäßig gezackten Konturen und rissigen Kerben, in denen unzählige Schweißpunkte einen rostigen Schorf bilden. Solche Stellen erinnern fern an Germaine Richier und an ihr Bestiarium dürrer, spirrlig verdrahteter, verschweißter, wie in sich selbst verkrallter eiserner Geschöpfe. Zumindest bei einer Arbeit sieht es so aus, als habe Hauser dieses existentialistisch durchdrungene Tierreich ebenfalls betreten. Seine Plastik 8/64 läßt sich als übergroßer, von der Witterung ausgemergelter Stierschädel deuten, dessen Hörner bedrohlich in die Landschaft ragen. Insgesamt jedoch ist das Werk des Bildhauers auch in den frühen Jahren nicht auf bestimmte Naturassoziationen fixiert. Wohl ist ein Bezug zur Natur durchweg vorhanden, doch er äußert sich in Formen, die an kristalline Gefüge, an grob abgekantete Findlinge oder an tektonische Verwerfungen denken lassen. Nichts an diesen Arbeiten schmeichelt durch gefällige Wölbung oder durch weiche, milde Modulation. Hart, kalt, kantig ist Hausers Kunst, und es passt nur zu gut, dass die meisten Arbeiten der ersten Jahre bei Eis und Schnee fotografiert wurden, als sollte vermittels einer betont unwirtlichen Umgebung noch der kleinste Rest an gefälliger Beschaulichkeit ausgetrieben werden. Es ist die Gegend um Rottweil, die den Hintergrund abgibt für diese Aufnahmen, und die ins Gedächtnis ruft, dass es beschwerlich sein kann, den täglichen Unterhalt zu verdienen, dass die Lebensumstände rauh sein können und voller Mühen. Wenn hierin trotz mannigfacher hügeliger Reize, trotz des zweifellos reichen Freizeitwerts der Wiesen, Weiden und Wanderwege, dass eigentliche Merkmal dieses Landstrichs liegt, dann hat ihm Erich Hauser in seinen frühen Arbeiten Gestalt gegeben. Nirgends schildert oder zitiert er, was ihn umgibt. Aber man weiß, dass Hauser sich mit dieser durchaus herben, eigenwilligen, stolzen Region identifiziert, in der er 1952 mit dem Anspruch Fuß fasste, sich als Künstler zu bewähren, und in die er auch dann immer wieder zurückkehrte, als er bereits internationale Anerkennung erfuhr.

 

Diese innere Bindung kommt nicht zuletzt in kulturpolitischem Engagement, etwa in seinem Einsatz für das Forum Kunst oder in seiner Initiative »Kunst für die Stadt« zum Ausdruck, als deren Ergebnis entlang der Rottweiler Königstraße eine Skulpturenmeile mit Arbeiten von 20 zeitgenössischen Künstlern entstand. Der Nachdruck, mit dem Hauser sich für dieses großzügig angelegte Projekt stark machte, belegt nicht zuletzt, wie wichtig es ihm ist, dass Kunst Präsenz zeigt und unmittelbar, in direktem Kontakt zur Öffentlichkeit auftritt. Diese Maxime gilt schon gar für das eigene Werk. Hauser hat sich häufig in kleinen oder mittleren Formaten geäußert, die am besten in einem intimen, vielleicht privaten Rahmen zur Geltung kommen. Doch Hausers Plastiken sind in mehrfacher Hinsicht raumgreifend, nach außen gerichtet. Sie unterwerfen sich nicht den Beschränkungen durch Salons und Museumssäle, sie sind darauf angelegt, sich innerhalb der urbanen Verflechtungen aus Geschichte, sozialen Funktionen, Kommunikationssystemen und architektonischen Strukturen zu behaupten. Die Stadt als gesellschaftliche Einheit und räumliches Dispositiv ist eine wichtige Bezugsgröße für die Arbeit von Erich Hauser. Dazu gehört, dass Hauser einzelne Plastiken in Stadtraumtaugliche Dimensionen überführt: So ist 6/95 mit knapp zwei Metern Höhe der Vorläufer des sieben Mal so hohen Stahlkunstwerks 1/96, wobei es sich nicht um eine blanke Vergrößerung mittels eines bestimmten Faktors X handelt, sondern Proportionen und Ausrichtung der skulpturaten Elemente völlig neu ausponderiert wurden.

Gelegentlich schlagen sich die Besonderheiten des kulturellen Umraums, in dem Hauser lebt, in einem der stählernen Objekte nieder: Das Relief 1/66, eine unvollkommen runde Scheibe aus gewölbten Metallfacetten, weist einen nachgerade dämonischen Zuschnitt auf. Ein sichelförmiger Schlitz, daneben eine aus zwei kegelförmigen Segmenten zusammengesetzte Kapsel wecken Vorstellungen von einem geschlossenen und einem halb geöffneten Auge. Unten links ein weiterer Einschnitt er könnte einen hämisch verzerrten Mund meinen, wäre somit ein Teil einer fratzenhaften Paraphrase auf die Larven der alemannischen Fasnet, von denen Hauser etliche geschnitzt und gesammelt hat.

Bei dieser Arbeit aus dem Jahr 1966 bestimmen also nochmals pris- menhafte Härte und derbe Kantigkeit das Aussehen der Kunst, ob schon Hauser inzwischen zu sanfteren Modellierungen übergegangen ist. Ab Mitte der 60er Jahre nehmen die Formen immer öfter organische Rundungen an: Stählerne Kerngehäuse entstehen jetzt, knospen gleiche Gebilde, die sich spreizen, als müssten die leicht geschwungenen Bleche, die sie bergen, Keimblätter sein. »Stahl kommt meinen Vorstellungen besonders entgegen, weil ich mit diesem Material eine hautähnliche Wirkung erzielen kann, so dass meine Volumen eine leichte Körperhaftigkeit

bekommen« 5, sagt Hauser damals. Das harsche Espressivo der Bearbeitungsspuren läßt mehr und mehr nach, das Grob Gewaltige wandelt sich, wie Robert Kudielka anmerkte, »zur statuarischen Anmut der Säulenform« 6 und die Oberflächen des Metalls schimmern alsbald vom Ebenmaß jener perfektionierten handwerklichen Sorgfalt, die Hausers Arbeiten bis heute kennzeichnet.

 

3.

Mit dieser hochentwickelten Präzision wurde auch die Plastik in Halle B des Frankfurter Flughafens erstellt. Die weit in die Höhe ragende, gleichsam sich reckende Konfiguration spitzer Stahlflächen entstammt einer Werkphase, da Hauser die polierten Säulen längst genauso hinter sich gelassen hat wie die dynamisch ausgreifenden, anfangs als Raumsäulen bezeichneten Abfolgen gestaffelter oder in sich verschränkter Röhren. Die bis zu 17, 19, 25 Metern 7 sich ausdehnenden, im Extremfall bis zu 15 Metern 8 aufsteigenden, mitunter vielfach gewinkelten zylindrischen Dispositionen wurden in Duisburg, Darmstadt, Düsseldorf, aber auch in Bonn, Neuß, Marburg oder Kaiserslautern platziert, und damals mochte durch ihre Häufigkeit zumindest im öffentlichen Raum der Eindruck entstehen, als repräsentierten ausgerechnet diese Arbeiten so etwas wie die Essenz der Kunst von Erich Hauser. In der Rückschau jedoch ergeben die Raumsäulen einen distinkten Abschnitt innerhalb einer Entwicklung, die Hauser wieder zu seinen Anfängen zurückbrachte. Mitte der 70er Jahre beginnt er, den Plastiken erneut harte Kanten und zugespitzte Formen zu geben. Nur, dass jetzt, im Gegensatz zu früher, jeder Anschein individueller Unbefangenheit und automatistischer Zufallseinflüsse vermieden ist. In den Motiven und plastischen Grundkonstellationen schließt Hauser zwar oftmals an das Repertoire jener Zeit an, als er mit dem Deutschen Kunstpreis der Jugend ausgezeichnet wurde (1959 und 1960), auf der 3. Biennale de Paris vertreten war (1963) und zum ersten Mal an einer ›documenta‹ teilnahm (1964). Aber er setzt inzwischen auf messerscharfe Exaktheit. Dem Vieldeutigen wird nun restlos der Boden entzogen. Das Material wird aller beiläufigen Oberflächenreize entledigt. Die Form ist zentimetergenau ausgelotet und passgerecht aufgebaut. Es herrscht die Radikalität der Genauigkeit.

 

Sie verbindet Hausers spätere Arbeiten mit den Prinzipien der Konkreten Kunst. Sicher ist Hauser ein Bildhauer sui generis, hat er seine dreidimensionale Sprache vorrangig durch Ausprobieren, durch den Mut zum Misserfolg und durch die zähe Courage zu immer neuen gestalterischen Anläufen erworben. Theoretischen Vorgaben nachzustreben, war seine Sache nicht  eine Haltung, die er treffend auf ihren Nenner brachte, als er einmal erklärte. »Ich möchte meine Arbeit nicht beweisen müssen, ich will den Kuchen essen, nicht das Rezept« 9. Doch obwohl es sich um eine Selbstaussage handelt, greift sie zu kurz. Sie verleitet dazu, die konstruktiven Grundlinien zu übersehen, die mit dem Übergang zu den Säulen und Flächenwänden ein unabdingbarer Faktor für Hausers Kunst wurden. Hie und da liegen sie sozusagen in Reinform vor. Die Plastik 11/76 beispielsweise besteht aus einem Edelstahlquader, dessen Ober- und Unterseite jeweils an einer Ecke aufgebogen wird. Ähnlich verfährt Hauser bei einigen Multiples. 3/78 etwa ist eine im Verhältnis 1:2 geteilte Stele auf quasiquadratischem Grundriss, deren Seiten wiederum diesmal an drei Punkten weggeklappt werden. 1981 entsteht eine Reihe von Reliefs aus kleinen Metallquadraten, die Hauser meist schräg einschneiden und dann auffalten lässt; bei einer Version dieser Auflagenstücke, bei 17/81, verläuft die Teilung vertikal und horizontal. Die einzelnen Schritte der Gestaltung liegen offen zu Tage und sind einfach zu rekonstruieren.

Ohne sich je auf sie zu berufen, hält Hauser hier bis zu einem gewissen Grad den Kurs, der konstruktivkonkreten Avantgarde. Ihr war es darum zu tun, dass die Künstler dem als fortschrittlich verstandenen technischen Rationalismus Rechnung tragen, wenn nicht gar als treibende Kraft einer zukunftsorientierten Epoche auftreten. Immerhin stand zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Aussicht, dass die forcierte Anwendung Naturwissenschaftlicher Prämissen und Erkenntnisse eine allgemeine Verbesserung und Humanisierung des Daseins bewirken würde. Damit aber war das Modell vom Künstler als Genie, als Medium vorbewussten, intuitiven Wissens überholt. Einige exponierte Vertreter der Moderne forderten deshalb, die Kunst müsse sich den Leitsätzen der exakten Wissenschaften verpflichten, indem sie nur nachvollziehbare, formale Mittel, Methoden und Materialien einsetzt.

Hauser hat sich diesem Primat der Überprüfbarkeit nie gebeugt, sondern ist im Gegenteil bei seinen Arbeiten durchweg von der unmittelbaren Eingebung ausgegangen. Der nachinformelle Ansatz, mit dem der Bildhauer in seiner ersten nachhaltigen Werkphase auf sich aufmerksam machte, wurde niemals ganz aufgegeben. Hauser hat lediglich alle Momente getilgt, in denen die künstlerische Artikulation vagevielsagend bleibt. Nach wie vor hält sich Hauser weder an konzeptuelle Vorgaben, noch an systematische Planungen, wie sie etwa für die konkreten Plastiken eines Max Bill oder die minimalistischen Gliederungen eines Donald Judd bindend waren. Seine gestalterischen Entscheidungen trifft Hauser aus einem spontanen, durch jahrzehnte lange Erfahrung gespeisten Empfinden heraus. Die technische Seite seiner Kunst jedoch wird mit der gleichen ausgefeilten Präzision bewältigt, mit der in den Produktionsanlagen großer Industriebetriebe Maschinen oder Automobile gefertigt werden.

 

4.

Hier ästhetische Inspiration, dort praktische Rationalität: Dazwischen ist Hausers Werk seit den späten 60er Jahren eingespannt. Diesen eigentlich dialektischen Zusammenhang hat Hauser immer stärker zugespitzt: realiter an den Arbeiten selbst, idealiter in der Pointierung seiner künstlerischen Aussage. Mit jeder Plastik werden freie Imagination und Millimeter genaue Berechnung der Machbarkeit, ungebun- dene Form und physikalische Notwendigkeit untrennbar aneinander gekoppelt. Entscheidend ist dabei, dass dieses Zusammentreffen zweier entgegengesetzter Kräfte oder Tendenzen nirgends heruntergespielt, harmonisiert oder auch nur ausgehalten wird, sondern dass Hauser die Diskrepanzen bis in das formale Vokabular hinein entfaltet und in aller Schärfe vor Augen stellt. In den 90er Jahren forciert er dieses Vorgehen noch: Mit 2/95, 3/96 oder der Großplastik 6/96, die auf dem Gelände der BV Meissker + Wurst, Weil im Dorf, Aufstellung fand, sind extrem staksigstachelige Gebilde entstanden, die wie mit Florettklingen nach allen Seiten ausholen.

Der Antagonismus zwischen dem Anspruch auf freie Individualität und dem Zwang objektiver Bedingungen reduziert sich bei Hauser allerdings nicht auf die Attitüde persönlichen Unabhängigkeitsdrangs. Hauser wird mitunter als kantigraubauziger Selfmade Man charakterisiert, und es werden nicht nur in Rottweil genügend Gerüchte und Anekdoten kolportiert, die diesen Einschätzungen Nahrung geben. Sicher hat der überaus produktive Stahlbildhauer die Rolle des unabhängigungenierten Tatmenschen häufig genug ausgereizt, sei es aus einer momentanen Laune heraus, sei es, um lauen Zeitgenossen auf die Sprünge zu helfen. Erich Hauser hat auf jeden Fall seinen autonomen Standpunkt gewahrt, verteidigt und behauptet. Bei derart ausgeprägten biographischen Daten mag es plausibel erscheinen, sein Werk direkt aus der individuellen Konstitution abzuleiten, zumal die informellen Anfänge eine solche Annahme stützen das Informel setzt Loslassen voraus, die gesellschaftliche Konditionierung muss gebrochen, wie Schlacke abgeschlagen werden, um essentielle Aussagen freisetzen zu können. Den Grundsatz, mit jeder Arbeit sei ein neu zu generierender, gleichsam atavistischer Urzustand anzustreben, hat sich Hauser nur sehr bedingt zu eigen gemacht. Er ist ihm zeitweise, in den 50er und frühen 60er Jahren gefolgt, auch bildet er durchaus noch bis in die aktuelle Gegenwart hinein so etwas wie ein subkutanes Unterfutter seiner Arbeit. Doch die anarchischen Impulse, die jede Forderung nach Unmittelbarkeit bedingt, hatten und haben bei Hauser keine eigene, aus sich selbst resultierende Berechtigung. Ihre Signifikanz erhalten sie erst durch den gestalterischen Zugriff und durch die Einbindung in den technischmateriellen Zusammenhang der Stahl- plastiken.

Das Eigenwillige, Abgründige, Unkalkulierbare steckt bei Hauser in der Methode: Sein Vorgehen ist rein intuitiv; die Plastiken sind weder am Reißbrett entworfen, noch nach festem Plan konstruiert. Aber sie sind, sowohl was die Mittel ihrer handwerklichen Herstellung anbelangt, als auch in ihrer formalen Erscheinung, ausdrücklich Produkte moderner Technik, mehr noch: Sie entsprechen in ihrer makellosen Apparenz durch und durch dem perfektionistischen Zuschnitt der Epoche. Damit rührt Hauser an jenem Grundwiderspruch des Zivilisationsprozesses, den um nur eine Stimme zu nennen Sigmund Freud mit dem Begriff »Unbehagen an der Kultur« markierte und der sich darin manifestiert, dass die Menschheit für die Stabilisierung ihrer Lebensverhältnisse und die Ausweitung ihres Aktionsradius Einschränkungen der natürlich-spontanen, ursprünglich-lustorientierten, instinktivkreatürlichen Verhaltensweisen in Kauf nehmen muss. Eine elaborierte Technik auch die, mit der Hauser arbeitet bedeutet immer Gewinn und Verlust zugleich. Regulation bedingt Reduktion. Der Zuwachs an Rationalisierung, Effizienz oder Funktionalität bringt es mit sich, dass alles vorderhand Unbrauchbare, Unausgegorene, Mehrdeutige, Sperrige, Diffuse als Störung beiseite geschoben wird und entfällt.

 

Aber diesen letzten Schritt unterlässt Hauser. Er beschränkt sich nicht darauf, die Fertigungsqualitäten des High-Tech-Zeitalters zu paraphrasieren. Schon gar nicht sucht er nach einer bindenden Entsprechung zwischen Kunst und technologischer Wirklichkeit, vergleichbar etwa den tempomanen ästhetischen Richtwerten, die der Futurismus im revolutionären Morgendämmer des 20. Jahrhunderts proklamierte. Werke, wie die in zwei spitzige Streben aufgespaltene Stahlplastik 4/90, die für das Arbeitsamt Frankfurt entstand, oder die in ihrer Monumentalität gebrochene, weil stellenweise aufgesplitterte Stele 2-84/85 für die Stadt Singen, sind eben nicht stromlinienförmig und windschnittig moduliert. Bei aller Schlüssigkeit und formalen Kohärenz, mit der dreieckige Blechsegmente und pyramidale Volumina ineinandergeschoben werden, bei aller inneren Stringenz verweigern sich diese Arbeiten doch bruchloser Anpassung, sei es an die architektonische oder urbane Umgebung, sei es an den technologischen (und damit auch ideologischen) Status quo. Immer bleibt ein Moment des Brüchigen, als könnte das einmal errungene Gleichgewicht irritiert, erschüttert, ausgehebelt werden. Einige jüngere Arbeiten wie 6/94 oder 7/98 scheinen geradezu von einem Zittern oder Beben erfasst worden zu sein. Ihre stählernen Facetten nehmen keine strikten Zäsuren mehr vor. Der Raum wird nicht an ein, zwei Stellen zerschnitten, geteilt, er wird in einem taktilen Vibrato ertastet, wie um zu betonen: Eine Plastik ist kein Absolutum.

In ihrer äußersten Zuspitzung erscheinen diese Arbeiten gleichermaßen gefährlich und gefährdet. Wie überlange Stahlnägel, Lanzen, Waffen können sie in den Raum stoßen. Dann geben sie sich martialisch aggressiv, halten aber zugleich die blutigen Auswirkungen solcher Gerätschaften präsent. Nicht von ungefähr bringt Hauser sein Formenvokabular einmal sogar mit dem Leiden Christi in Verbindung, und zwar ausdrücklich nicht als überhöhte Darstellung der Marterwerkzeuge, mit denen die Schergen Jesus misshandeln und foltern: Das Kreuz, das Erich Hauser 1994 für die Kirche St. Maria in Schramberg, mithin für einen besonderen öffentlichen Raum entworfen hat, ist Kruzifix und Kruzifixus in einem. Die Flächen und Schrägen fügen sich zu einer Einheit, bei der Kreuz und Gekreuzigter ineinander verschränkt sind.

 

5.

Noch die gekrümmte Körperlinie des Gottessohnes lässt sich in Hausers Schramberger Kreuz nachvollziehen, und die beiden parallelen Dreiecke am unteren Ende mag man als die im Todeskampf weggekippten Füße des Heiland ausmachen. Überhaupt sind vor allem an den späteren Plastiken mitunter antropomorphe Züge zu beobachten. Obschon es Hauser nicht darauf anlegt, per Schweißgerät stilisierte Menschenbilder zu schaffen, kennzeichnet es doch die semantische Vielschichtigkeit seines Werks, dass es hin und wieder wenngleich stark abstrahierte figurative Merkmale annimmt. Oft stellt sich durch den Rhythmus der Formen der Eindruck von Körperbewegung ein, begleitet von einer Drehung und einem organisch schwingenden Ausgreifen, das selbst großen und voluminösen Arbeiten wie 5/91 oder der verkehrsumbrandeten Plastik 17/87 auf dem Grünzug einer Hannoveraner Hauptverkehrsstraße tänzerische Leichtigkeit verleiht. Besonders ausdrucksstark kommt 5/94 daher: die sockellose Plastik steigt vom Boden her schräg an, um dann, bei einem Drittel der Gesamthöhe, jäh die Richtung zu ändern. Dadurch vermittelt sie das Bild von einem, der in die Knie geht, um richtig Schwung zu holen, bevor er sich restlos dem Takt der Musik hingibt. Jedenfalls deuten die drei Stahlarme, die den oberen Abschluß bilden, eine Drehung an, wobei solche inhaltlichen Festlegungen von Hauser keineswegs angepeilt werden: Man kann in 5/94 genauso gut einen letzten Taumel, das Einknicken und Hinsinken eines Sterbenden wahrnehmen. Gelegentlich sind diese Bewegungen auch auf die Menschheitsgeschichte zu beziehen. Die beiden, in entgegengesetzte Richtungen abgewinkelten Ausleger der Arbeit 6/89 wären dann am konkreten Ort des Rhein Main Airports als Flügelarme zu interpretieren, die den Blick auf den Traum vom Fliegen lenken oder auf mythologische und historische Flugversuche verweisen, von Daidalos, dem mythischen Architekten und Bildhauer, nebst seinem Sohn Ikaros bis hin zu den Gebrüdern Wright.

 

Sofern man die Frankfurter Arbeit nicht überhaupt als Metapher für die bodenlose Doppelbödigkeit dieser Fortbewegungsart deuten will. Ein Arm, der sich nach oben, ein anderer, der sich nach unten streckt, hieße dann soviel wie: Die Technik, die den Menschen von der Fessel Schwerkraft befreit, bringt ihn zugleich dem abrupten Absturz näher. Es gilt aber auch, dass die risikobehafteten Erfindungen die Mittel lie- fern, die es der Gattung Mensch ermöglichen, über ihre Abhängigkeit von der Natur hinauszuwachsen und das Ausgeliefertsein an deren Bindungen zu lindern oder gar zu überwinden. Hausers Arbeiten um fassen immer beides, das Argument und sein Gegenargument, Seite und Gegenseite. Natur, Technik, knappe figurative Andeutungen und entschiedene geometrische Abstraktion, Empfinden und Kalkül, Intuition und rationale Planung stoßen in den Plastiken von Erich Hauser aufeinander, durchdringen sich, ohne sich zu vermengen. Dort, wo sich Unvereinbares, Widerständiges verborgen hält, macht er sichtbar, dass derlei Gegenkräfte immanent zum jeweiligen Gesamtzusammenhang gehören. Folglich entfalten Aufbruch und Aufbrechen bei Hauser ihren ganzen begrifflichen Doppelsinn als Fortziehen, Fortdrängen, Fortstreben und als radikales Offenlegen, Herausreißen aus festen oder verfestigten Formen, Strukturen, Übereinkünften.

Insoweit könnte man Hauser als einen Dekonstruktivisten avant la lettre bezeichnen. Dazu würde passen, dass seine Plastiken auffällige Parallelen zu einigen Entwürfen und Bauten insbesondere der irakischbritischen Architektin Zaha Hadid aufweisen. Deren Planungen für den multifunktionalen Gebäudekomplex Hong Kong Peak (1982-83) oder für die Hamburger Hafenstraße (1989) sind in ihrem Grundriss und in ihrer räumlichen Disposition von spitzen Winkeln und keilförmig ineinandergeschobenen baulichen Elementen bestimmt. Anlage und Aufbau der Projekte lassen an erstarrte Zersplitterung oder schockge- frorene Explosion denken; bei ihrem chinesischen Vorhaben spricht Zaha Hadid davon, der Eingriff in den Hong Kong Peak sollte »die gewisse Schärfe eines Schnittes haben wie eine Klinge, die den Berg durchschneidet« 10.

 

Man hat diese Architektursprache als dekonstruktivistisch identifiziert. Das heißt: Sie anerkennt den Konstruktivismus in Kunst und Architektur als bestimmende Kraft der Moderne, aber entzieht sich seinem Anspruch, mittels reiner geometrischer Formen zu versuchen, »ein ganzes, wahres und wesentliches Weltbild zusammenzufügen« 11. DerKonstruktivismus und in seinem Geleit Fuktionalismus und Rationalismus haben es sich zum Ziel gesetzt, einen Formenkanon aufzustellen, der seine Allgemeingültigkeit behauptet, auch wenn der Taumel der Modernisierung fortwährende Umbrüche, Umwälzungen, Fragmentisierungen der Wirklichkeit nach sich zieht. Der Dekonstruktivismus misstraut diesen Vereinheitlichungstendenzen, er hinterfragt »die Überdeterminierung individuellen Lebens durch Abstraktion« 12, wie sie das 20. Jahrhundert in vielen Bereichen bis hin zur vollständigen Durchorganisation der Gesellschaft hervorgebracht hat.

Der Begriff Dekonstruktion ist aus der neueren französischen Philosophie entlehnt; Jacques Derrida hat ihn als Verfahren etabliert, totalisierte Tendenzen innerhalb der Sprache freizulegen. Es wurden also zunächst Texte dekonstruiert. Derrida hat allerdings mehrfach ein verallgemeinertes Verständnis von Text dargelegt, das die Anwendung auf philosophiefremde Gebiete durchaus rechtfertigt. Gleichwohl hat Peter Engelmann, maßgeblicher Beförderer der deutschsprachigen Derrida Rezeption, auf die Missverständnisse aufmerksam gemacht, die eine vorschnelle Übertragung des Begriffs Dekonstruktion auf Gebiete außerhalb der Philosophie nach sich ziehen kann. Mit entsprechender Zurückhaltung ist denn auch das Werk Erich Hausers als dekonstruktivistisch zu charakterisieren, zumal es nicht wie bei Zaha Hadid und anderen als Aufstand »gegen Tyrannei des karthesiani- schen Rasters und gegen einen Tiefe und Numinoses vorspiegelnden Minimalismus« 13 konzipiert ist. Auch wenn Hauser der Minimal Art skeptisch gegenüber steht, so sind doch seine Arbeiten nicht aus dem Impuls entstanden, vorhandene ästhetische Axiome fundamental in Frage zu stellen, respektive deren Absolutheitsansprüche bloß zu legen. Allerdings deckt sich die künstlerische Auffassung in einigen Punkten so weit mit den Leitsätzen des Dekonstruktivismus, dass die Position Hausers womöglich schärfere Kontur gewinnt, wenn man sie unter dem Gesichtspunkt der Dekonstruktion betrachtet. Hervorzuheben ist vorrangig das Verhältnis zur Rationalität, die ausdrücklich nicht als obsolet abgelehnt wird, sondern lediglich in aller Freiheit und Offenheit neu formuliert werden soll.

 

In den Arbeiten der 90er Jahre erfährt dieser Ansatz eine animierte Fortsetzung. Sie enden auffällig oft in Gabelungen. Ob bei 1/94, 4/94 oder 3/95, ob bei 5/95, 5/96, 5/97 oder bei Auflagestücken 9/97 und 10/97 immer kommt es nach oben hin zu einer Verzweigung, die in fragile spitze Streben ausläuft. Wie metallene Sonden tasten sie den Raum ab, umreißen sie die Schwankungsbreite der Alternativen, die jeder skulpturale Akt mit einschließt. Bei einer Arbeit wie 5/95 stellen sich nebenbei rasch Assoziationen an die überlangen Fühler eines Insekts oder an Gräser ein, die der Wind hin und her bewegt. Immerhin hat Hauser bei einigen Plastiken der jüngsten Zeit offensichtliche Anregungen aus der Botanik aufgenommen. Sie schlagen sich in einem baumartigen Aufbau (8/99) oder in einer locker spielerischen Balance der Stahlelemente nieder, die wie zufällig mit der räumlichen Entfaltung der Agaven in Hausers Garten korrespondiert. Aber mit jeder Gabelung, Aufspaltung, Auffächerung wird auch abstrakt betrachtet zu erkennen gegeben, dass mit diesen Werken keine absoluten Behauptungen aufgestellt werden und dass bei jeder Fixierung einer Form (und damit einer Aussage) die Möglichkeit einer anderen Bewertung, einer Modifikation oder eines Richtungswechsels mitschwingt. Die Konstituierung von Wirklichkeit geschieht versuchsweise, mit jedem Kunstwerk neu. Denn: Der Künstler folgt keinen vorbestimmten oder festgeschriebenen Maßgaben; sie bilden sich während und in der Arbeit am eigenen Werk heraus, oder wie Jean François Lyotard bemerkte: »Künstler und Schriftsteller arbeiten also ohne Regeln; sie arbeiten, um die Regel dessen zu erstellen, was gemacht worden sein wird« 14.

 

6.

Mit Lyotards Satz ist ein Eckpunkt des Spannungsfelds angegeben, in dem die öffentlichen Plastiken von Erich Hauser virulent werden. Denn die Eigengesetzlichkeit künstlerischen Tuns, die da herausgestellt wird, kollidiert mit dem Umstand, dass der Aufstellungsort auf einem Platz, an einer Straße, vor einem Gebäude  immer schon feste Rahmenbedingungen vorgibt. Bei der Vergabe öffentlicher Aufträge steht das Verhältnis zwischen der Autonomie des Kunstwerks und den Anforderungen einer Situation oft genug zur Debatte, wird das Maß zwischen Orts und Themenbezogener Anpassung und uneingeschränkter künstlerischer Eigenständigkeit zu einem entscheidenden Kriterium für die Platztauglichkeit einer Arbeit. Bei Erich Hauser erhal- ten diese Fragen gesteigerte Bedeutung, weil er selbst dem öffentlichen Raum als Forum erhebliche Bedeutung beimisst: Allein seine Rottweiler Aktivitäten oder seine Kirchenraumgestaltung in Schramberg geben eindringlich zu verstehen, dass Hauser Kunst als eine öffentliche Angelegenheit begreift. Statt in Solipsismus zu verharren, soll sie gewissermaßen Teil haben am Geschehen in einem Sakralbau, vor einer Hochschule, in einer Stadt. Hausers Arbeiten resultieren aus jener »Art, mit dem Raum umzugehen, bei der das Prinzip der Visualität nuanciert und transformiert wird durch das der Bewegung« 15. Sie, die Bewegung, versetzt den Betrachter in die Lage, tatsächlich, das heißt: mit der eigenen Motorik auf die Ansichten und Aspekte einzugehen, die in der Dreidimensionalität der Plastik enthalten sind.

»Es ist mir wichtig, wie eine Plastik sich verhält zur Architektur, zur Landschaft, zum Baum, zum Menschen, zum Auto, zur Technik. Die Dimension wird auch damit bestimmt, was menschlich fassbar ist; das heißt, so weit ich den Raum ablesen, durchdenken und beherrschen kann« 16, hat Hauser 1968 erklärt. Acht Jahre später meinte er lapidar: »Ich sehe meine Arbeiten eben gerne im Freien« 17. Gleichzeitig hat er Verwunderung bekundet über Reaktionen, die seine Beiträge zum urbanen Gefüge da und dort auslösten von erhitzten Stadtratsreden bis zu Vandalismus mit Schusswaffengebrauch. Er sei, so Hauser, zu einer »Art politischer Künstler« geworden, dabei wollen doch seine Arbeiten »niemand belehren, weder politisch noch sonst wie« 18. In dieser Absichtslosigkeit aber ruht ihre Brisanz in puncto öffentlicher Raum. Hauser zieht erst recht, wenn es um einen konkreten Auftrag geht die umliegenden Bezugsgrößen wie Häuser, Bäume oder die Dimension einer Anlage sehr wohl in Betracht und verliert auch nicht das Gesamtbild, das sich ergibt zwischen Kunstwerk und Umgebung, aus dem Auge. Generell gilt: Die Auswirkung einer Plastik auf den Raum, die Bezüge zwischen ihr und den Verhältnissen ringsum, deren Enge, Weite oder auch scheinbare Unendlichkeit bedeuten einen grundlegenden Parameter für die Arbeit Hausers. Daher rührt auch ihre Empfänglichkeit für Konnotationen bis hin zu ihrer Wetterfühlig- keit: In grellem Sonnenlicht zerflirren sie ins schier Immaterielle, unter dunklen Wolken gewinnen sie Gewicht und können wuchtig wirken.

 

Die Plastiken nehmen auf, was in ihrer Nachbarschaft geschieht exemplarisch nachzuvollziehen an den formalen und inhaltlichen Facetten der Arbeit im Frankfurter Flughafen. Doch Hauser hat durch- weg die Eigengesetzlichkeit seiner Kunst hoch gehalten, ist den selbst bestimmten, von ihm erarbeiteten Regeln gefolgt und hat sich nur selten, etwa bei der Platzgestaltung vor dem Badischen Staatstheater Karlsruhe (1975), auf fest bemessene Vorgaben eingelassen. Diese Selbstbehauptung kann in flagranten Widerspruch geraten zur Umgebung. Dann wird die Plastik zum Dorn im Stadtraum: eine stählerne Herausforderung, weder Denkmal, noch Mahnmal, sondern Stahlmal als eigenständige, gleichwohl den technologischen und industriellen Bedingungen der Epoche verpflichtete Form, als klare skulpturale Setzung, die trotz ihrer Größe und Höhe alles Monumentale meidet und viel eher als manchmal als bewusste Störung, häufig als produktive Irritation wirkt, die Bedeutung nicht oktroyiert, sondern prozesshaft sich eins ums andere Mal herausbilden lässt.

 

 

Anmerkungen

1 Zur Präzisierung des Begriffs s. Markus Stegmann: Architektonische Skulptur im 20. Jahrhundert. Tübingen, 1995, S. 35f.

2 heute Hochschule für Technik Karlsruhe 3 Claudia und Jürgen Knubben (Hg.): Erich Hauser Bildhauer, Ostfildern, 1995, S 16 4 zit. nach Emil Schumacher. Arbeiten auf Papier 1957-1982. Katalog zur Ausstellung

Kunstmuseum Hannover mit Sammlung Sprengel u.a., Hannover, 1982, S. 31 5 zit. nach Eduard Trier: Bildhauertheorien im 20. Jahrhundert. Berlin 21980, S. 35 6 Robert Kudielka: Ein Arbeiter des Festes. In: Institut für moderne Kunst Nürnberg.

(Hg.): Erich Hauser. Werkverzeichnis III. Plastik 1980-1990, Nürnberg, 1990, S. 5-8,

hier S. 7 7 Die Arbeit 16/73 (Duisburg, Städtische Kliniken) weist eine Breite von 17 Metern

auf, 13/72 ist 19 Meter breit und 10-73/75 (Laupheim, Siegfried Weishaupt) 25

Meter 8 10-73/74 (Laupheim, Siegfried Weishaupt) 9 gb.: »Ich möchte meine Arbeit nicht beweisen müssen, ich will den Kuchen essen,

nicht das Rezept«, Schwäbische Zeitung, Nr. 11, 14.1.1978 10 Zaha Hadid: Über neuere Projekte. In: Peter Noever (Hg.): Architektur im Aufbruch.

Neun Positionen zum Dekonstruktivismus. München, 1991, S. 47-65, hier S. 50 11 Alois Martin Müller: Dialektik der Moderne. In: Noever (Hg.), Architektur, a.a.O.,

S. 9-15, hier S. 12 12 Peter Engelmann: Postmoderne und Dekonstruktion. Zwei Stichwörter zur zeitgenössischen Philosophie. In: Peter Engelmann (Hg.): Postmoderne und Dekonstruktion. Texte französischer Philosophen der Gegenwart. Stuttgart, 1990, S 5-32, hier S. 12f.

13 Müller, Dialektik, a.a.O., S. 14 14 Jean-François Lyotard: Beantwortung der Frage: Was ist postmodern? In: Engelmann

(Hg.), Postmoderne, a.a.O., S. 33-48, hier S. 48. Auf deutsch erstmals veröffentlicht in: Jean-François Lyotard: Postmoderne für Kinder. Briefe aus den Jahren 1982- 1985. Wien, 1987

15 Gerhart Schröder: La Piazza. In: Gisela Febel und Gerhart Schröder (Hg.): La Piazza. Kunst und öffentlicher Raum. Stuttgart, 1992, S. 9-13, hier S. 12

16 Erich Hauser: Exposé zu seinen Aussagen in einem TV-Beitrag des Westdeutschen Rundfunks, 1968, zit. nach Trier, Bildhauertheorien, a.a.O., S. 123

17 Statement Erich Hausers, 1976, zit. nach Manfred de la Motte (Hg.): Sorgfalt ’84. Begleitbuch zur Ausstellung. Rottweil, 1984, S 144

18 ibid. 

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